‚Jüdischer Film’ ist in der Filmkultur ein präsenter Begriff, der über jüdische Filmtage und Filmfestivals popularisiert wurde und durch Ausstellungen ab den 2000er Jahren eine geschichtliche Perspektive bekam. Eine systematische wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Gegenstand steht jedoch sowohl in den Film- und Medienwissenschaften als auch in den Jüdischen Studien noch aus. Die Junior Research Group setzt sich mit der kontroversen Frage „Jüdischer Film – Was ist das?“ auseinander und fokussiert dabei die praktische Filmarbeit, Filmkultur und Rezeption. Durch vier Einzelprojekte will die Nachwuchsforschungsgruppe dem Gegenstand Konturen verleihen und aufzeigen, was in spezifischen historischen und gesellschaftlichen Kontexten als ‚Jüdischer Film’ verstanden und rezipiert wird.
Förderinstitution: Postdoc Network Brandenburg
Laufzeit: 2020–2024
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Spätestens seit den ausgehenden 1970er Jahren gibt es Forschung, die an der Schnittstelle von Jüdischen Studien und Filmwissenschaften verortet, die filmische Auseinandersetzungen mit jüdischer Geschichte und Erfahrung in den Blick nimmt. Vielfach als Einzelstudien in unterschiedlichen Fächern angesiedelt, hat sich daraus lange kein zusammenhängendes Forschungsfeld formiert, obwohl sich entsprechende Themen nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Lehre durchaus etablieren konnten (wenn auch im deutschsprachigen Raum immer noch als eher randständige Themen). Zeitgleich beginnt auch in der Filmkultur – zunächst in Nordamerika – eine Entwicklung, die auf ein wachsendes Interesse an jüdischen Themen im Film hindeutet: Filmfestivals und Filmtage, Seminare und Retrospektiven sowie erste Sammlungsprojekte befassen sich mit dem thematischen Zusammenhang unter dem Begriff ‚Jüdischer Film‘, der dadurch eingeführt und verbreitet wird. Dabei sind die Unschärfen des Begriffs auch im Kontext von Filmkultur durchaus offenkundig. Sie werden wiederholt über die Frage „Was ist ‚Jüdischer Film‘?“ spielerisch oder auch ernsthaft thematisiert. Die unterschiedlichen und mitunter widersprüchlichen Antworten können jedoch im Bereich der Kultur nebeneinander stehen bleiben. So antwortet der creator der israelischen Serie Shtisel, Yehonatan Indursky, auf die Frage im Rahmen einer Podiumsveranstaltung des Jüdischen Filmfestivals Berlin Brandenburg schlicht, es gebe keinen ‚Jüdischen Film’. Ein derart offener Umgang, gleichzeitig mit einem Begriff zu arbeiten und ihn in Frage zu stellen oder zu verwerfen, ist für wissenschaftliche Auseinandersetzungen kaum geeignet. Nicht zuletzt deshalb wirft die Übertragung auf einen wissenschaftlichen Diskurs zahlreiche Fragen (und auch Vorbehalte) auf: Gerade aus film- und medienwissenschaftlicher Perspektive wird der Begriff des ‚Jüdischen Films‘ problematisiert, vor allem wenn Filme nicht nur auf Grundlage ihrer Sujets, sondern auch der Filmschaffenden entsprechend beschrieben werden. Deutlich wird diese Position in der von Gertrud Koch für die Jüdischen Studien vorgeschlagenen Definition, Filme würden dann für die Disziplin interessant, „wenn sie Aspekte jüdischen Lebens, historischer Konstellationen, die für das Leben jüdischer Kollektive und Einzelner bestimmend waren, ins Zentrum rücken oder auf signifikante Weise zur Geltung bringen.“ Jüdische Filmschaffende hingegen seien explizit nicht relevant.
Tatsächlich ist der Zusammenhang ‚Judentum und Film‘ neben seiner gesellschaftspolitischen Bedeutung, nicht nur für die jüdischen Studien relevant: Für die deutsche Filmgeschichte ist zu konstatieren, dass das Jüdische sowohl auf der Ebene der Filmschaffenden als auch auf der der Sujets – sei es in der Erinnerungskultur oder in Verhandlungen deutscher Selbstbilder im Spiegel ‚des Anderen‘ – untrennbar mit ihr verbunden ist. So lässt sich die Auseinandersetzung mit ‚deutsch-jüdischer Filmgeschichte‘ zunächst als Beitrag zu einer kritischen Geschichte des deutschen Films wie auch als Konkretisierung des problematischen Konzepts des ‚Jüdischen Films‘ verstehen, wobei in beide Richtungen Uneindeutigkeiten und Spannungen sichtbar werden. Film ist Austragungsort konfligierender Fremd- und Selbstbilder des Jüdischen in unterschiedlich konstituierten Mehrheitsgesellschaften (bspw. Frankreich, Deutschland, Israel, USA) und Seismograph sich verändernder jüdischer Lebenswelten in der jüdischen Diaspora wie auch in Israel. Auch für Forschungen zur medialen Darstellung sowie zur visuellen Partizipation gesellschaftlicher Minoritäten bietet der ‚Jüdische Film‘ umfangreiches Material und stellt einen Einzelfall dar, aus dem sich nichtsdestotrotz Ergebnisse auch für die Repräsentation anderer gesellschaftlicher Minderheiten gewinnen lassen.
Wir nutzen den Begriff ‚Jüdischer Film‘ um Forschungsansätze und –perspektiven zu einem Forschungsfeld zu bündeln, das sich zumindest im deutschsprachigen Raum noch nicht als solches formiert hat, weshalb viele Arbeiten nebeneinanderstehen, ohne aufeinander Bezug zu nehmen. Entsprechend stehen die Beschreibung, Untersuchung und Diskussion seiner Potentiale, Grenzen und Binnendifferenzierungen sowohl für die Filmwissenschaft als auch die Jüdischen Studien vielfach noch aus.
Die Junior Research Group „Jüdischer Film – Was ist das?“ liefert eine methodische Antwort auf die skizzierten begrifflichen Schwierigkeiten. Die Forschungsprojekte folgen Moshe Zimermans pragmatischem Vorschlag, dasjenige als ‚Jüdischen Film‘ zu verstehen, was als solcher verhandelt wurde. Das heißt, sie nähern sich dem Gegenstand nicht primär über die filmischen Texte und deren Analyse an, um sich darauf basierend an einer Definition zu versuchen, sondern nehmen Distribution, Rezeption und filmpraktische Arbeit in Filmprogrammen in den Blick. Dem folgend werden jüdische Filmfestivals, die Rezeption von Filmen als jüdisch und deren Publika in spezifischen historischen Rezeptionssituationen untersucht. In dieser Perspektive werden die Gegenstandsbestimmungen der praktischen Filmarbeit/Filmkultur und Rezeption zum Ausgangspunkt gemacht, von dem aus den Konturen des Begriffs ‚Jüdischer Film‘ geschärft werden können. Die Einzelprojekte der Forschungsgruppe versuchen die Frage ‚Was ist Jüdischer Film?‘ anhand unterschiedlicher Gegenstände aus der Praxis heraus zu beantworten und zu zeigen, was in spezifischen historischen und gesellschaftlichen Kontexten als ‚Jüdischer Film‘ verstanden und rezipiert wird.
Projektleitung: Dr. Lea Wohl von Haselberg
Die Forschungsgruppe wird vom PostDocNetwork Brandenburg gefördert.